Ein zentrales Ziel der Medizininformatik-Initiative (MII) ist es, qualitativ hochwertige Daten aus der Routineversorgung für die Forschung nutzbar zu machen. Zu diesem Zweck wurden an den universitätsmedizinischen Standorten des SMITH-Konsortiums in Aachen, Bonn, Essen, Halle, Hamburg, Jena und Leipzig Datenintegrationszentren (DIZ) eingerichtet. Die Projektpartner Universitätsklinikum Düsseldorf, Universitätsmedizin Rostock und Ruhr-Universität Bochum bauen derzeit ein eigenes DIZ auf. In den Datenintegrationszentren werden die technischen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen, um medizinische Daten zentral zusammenzuführen und sie für standortübergreifende Forschungs- und Analysevorhaben bereitzustellen. Gleichzeitig ermöglichen die Zentren eine Rückkopplung von Forschungserkenntnissen in die medizinische Versorgung. Datenschutz und Datensicherheit haben dabei höchste Priorität.
Patientendaten liegen in lokalen Systemen der Krankenversorgung häufig in sehr heterogener Form vor. Um Daten aus der Routineversorgung für die Forschung nutzen zu können, mussten Forschende die Daten bisher für jedes Projekt selbst aufwändig extrahieren, zusammenführen und miteinander in Bezug setzen. Nun unterstützen die aufgebauten Datenintegrationszentren die Forschung, indem sie diese Aufgaben effizient und qualitativ hochwertig an ihren Standorten durchführen. Darüber hinaus stellen die DIZ Tools und Services bereit, um die standortübergreifende Datennutzung für die Forschung nachhaltig zu erleichtern. Die DIZ sind in der Regel an ein wissenschaftliches Institut und an die jeweilige IT-Abteilung des universitätsmedizinischen Standortes angegliedert. Die Leitungen der IT-Abteilungen sowie Lehrstühle für Medizininformatik, Biometrie und Epidemiologie können gleichermaßen fördernde Institutionen sein.
Die Datenintegrationszentren wurden bisher vor allem an universitätsmedizinischen Standorten aufgebaut. Mit dem Beginn der Ausbau- und Erweiterungsphase der MII ab 2023 werden zunehmend auch nicht-universitäre Partner in das Projekt einbezogen. Als Vorreiter übertragen die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Digitalen FortschrittsHubs Gesundheit bereits seit 2021 das technische Konzept der MII auf regionale Krankenhäuser und Arztnetze. Dabei baut der Digitale FortschrittsHub DISTANCE auf den im SMITH-Konsortium entwickelten IT-Lösungen auf. Der Hub übernimmt die gleichen Funktionen wie ein universitäres DIZ, dient hier jedoch dem Datenaustausch mit außeruniversitären Versorgungseinrichtungen. Routinemäßig in der regionalen Versorgung anfallende Daten werden in den Hubs zentral gesammelt, anonymisiert und für die Forschung nutzbar gemacht. Über so genannte Hub-Connect-Boxen, die an den regionalen Standorten lokal betrieben werden, sind die beteiligten Gesundheitsdienstleister miteinander verbunden. Mit dem Anwendungsfall PICOS wird die Datenausleitung getestet. Die PICOS-App wertet Daten von ehemaligen Intensivpatientinnen und -patienten aus, um die Forschung zur intensivmedizinischen Nachsorge zu verbessern.
Neben der reinen Standardisierung und Zusammenführung von Versorgungsdaten bieten die Datenintegrationszentren zahlreiche Dienstleistungen für Forschende an: Sie beraten unter anderem zur datenschutzkonformen Datennutzung, zu Möglichkeiten der Datenanalyse und zum qualitätsgesicherten Datenmanagement. Darüber hinaus schaffen die DIZ die organisatorischen Rahmenbedingungen, um qualitativ hochwertige Daten aus der medizinischen Versorgung zur Verfügung zu stellen. Sie verwalten die Breite Patienteneinwilligung (Broad Consent) zur Nutzung von klinischen Routinedaten und sind bundesweit vernetzt, sodass auch standortübergreifende Forschungsprojekte möglich sind.
Möchten Forschende medizinische Daten aus den DIZ nutzen, müssen sie die geplante Forschungsthematik sowie die benötigten Daten beschreiben und in einem Datennutzungsantrag einreichen. Nach einem positiven Votum der standortspezifischen Gremien für Datennutzung und ‑zugriff (Data Use and Access Commitee) erhalten die Forschenden den finalen Nutzungsvertrag. Der sorgfältige Umgang mit den Daten sowie die Rückmeldung der Ergebnisse sind für die Forschenden verpflichtend.
Für standortübergreifende Datennutzungsprojekte bietet das Forschungsdatenportal für Gesundheit (FDPG) einen zentralen Zugang zu Daten und Bioproben aus den Datenintegrationszentren der MII. Über diese Plattform können klinisch Forschende beispielsweise Machbarkeitsanfragen stellen oder klinische Routinedaten und Bioproben beantragen. Zudem koordiniert das FDPG die Datenbereitstellung und sichert die Datennutzung vertraglich ab.
Technisch lassen sich die Datenintegrationszentren durch die SMITH-Referenzarchitektur abbilden. Diese besteht aus Bereichen für klinische Fragestellungen (Clinical Domain), forschungsnahe Fragestellungen (Research Domain) und einer unabhängig arbeitenden Treuhandstelle.
Die Treuhandstelle schützt die Rechte der Patientinnen und Patienten und stellt eine datenschutzkonforme Nutzung der klinischen Routinedaten sicher. Hier werden Patienteneinwilligungen und die Pseudonymisierung der Daten verwaltet. Im Zuge der Pseudonymisierung werden identifizierende Informationen wie Name, Geburtsdatum oder Anschrift durch eine Zeichenkombination ersetzt, sodass eine direkte Zuordnung zu einzelnen Personen nicht mehr möglich ist. Personenbezogene Daten werden niemals an Forschende oder Dritte weitergegeben, sondern verbleiben an der jeweiligen Universitätsklinik.
Die medizinischen Daten werden interoperabel in den DIZ vorgehalten, über Metadaten- sowie Terminologiedienste annotiert und so für Anwendungsprojekte wie GeMTeX und INTERPOLAR zur Verfügung gestellt. Die zentrale Datenintegrationsplattform ist dabei der Health Data Storage Clinical. Dieser ist mit Datenquellen aus der Krankenversorgung wie den Krankenhausinformationssystemen (KIS), den Laborinformationssystemen (LIS) und Patientendatenmanagementsystemen (PDMS) verbunden. Direkte Rückkopplungen von Forschungsergebnissen in die klinische Routine werden hier möglich.
Mit dem Health Data Storage Research können sowohl standorteigene als auch übergreifende Auswertungen durchgeführt werden. Die Daten verbleiben dabei stets an ihrem Standort. Die Bereitstellung von pseudonymisierten Daten über das Forschungsdatenportal für Gesundheit (FDPG) erfolgt ebenfalls mit dem Health Data Storage Research. Als technische Basis hierfür dient das MII-weit eingesetzte Data Sharing Framework. In einigen Fällen werden dabei externe Daten für Forschungsprojekte einbezogen und mit den Daten des DIZ verknüpft (Record-Linkage).
Die im Rahmen der Medizininformatik-Initiative (MII) aufgebauten Datenintegrationszentren werden seit der Ausbau- und Erweiterungsphase der MII von 2023 bis 2026 durch das Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) finanziert. Das NUM wurde 2020 als Maßnahme zum Krisenmanagement in der Covid-19-Pandemie gegründet. Ursprüngliches Ziel dieses Netzwerks war es, die Forschungsaktivitäten, Maßnahmen und Behandlungsstrategien um Covid-19 an allen 36 Universitätskliniken in Deutschland zu bündeln und auszuwerten. Auf diese Weise sollten Strukturen und Prozesse geschaffen werden, die eine möglichst optimale Versorgung der Covid-19-Erkrankten gewährleisten. Dabei hat sich das NUM auf die im Rahmen der Medizininformatik-Initiative (MII) aufgebaute technische Infrastruktur der Datenintegrationszentren (DIZ) gestützt.
Mit dem Ende der Pandemie widmet sich das NUM der Zusammenführung von Ressourcen aus allen Universitätskliniken zu Themen, die über Covid-19 hinausgehen. Hierfür kooperiert das Netzwerk Universitätsmedizin eng mit der Medizininformatik-Initiative.
Ziel dieser Kooperation zwischen der MII und dem NUM ist die Verstetigung der DIZ-Infrastruktur. Die Datenintegrationszentren sollen langfristig fester Bestandteil der Gesundheitsforschung in Deutschland werden.