
Herausforderungen und Chancen der Medizinforschung in Deutschland
02.05.2025. Über die Herausforderungen und Chancen der Medizinforschung in Deutschland haben wir mit Prof. Dr. André Scherag gesprochen. Er ist Direktor des Instituts für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwissenschaften am Universitätsklinikum Jena, Mitglied des Nationalen Steuerungsgremiums der Medizininformatik-Initiative (MII) und TMF-Vorstandsmitglied. Unter anderem geht er darauf ein, welche Rolle Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin spielen wird, warum Translation wichtig ist und welche Voraussetzungen für medizinische Spitzenforschung geschaffen werden sollten.
Wie steht es um den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland?
Das ist eine sehr allgemeine Frage – eine differenziertere Sichtweise ist notwendig. Deutschland ist im Bereich der medizinischen Grundlagenforschung sicherlich sehr gut aufgestellt und das gilt auch für potentielle Innovationen, die sich hieraus ergeben könnten. Größere Schwierigkeiten haben wir, die Ergebnisse dieser Forschung in der Translationskette weiterzuentwickeln. Deutschland ist im Bereich der klinischen Forschung bis zur Versorgungsforschung weniger stark aufgestellt – hier gibt es weniger Fördermöglichkeiten und auch im Bereich der Lehre gibt es hier noch „viel Luft nach oben“.
Was muss sich ändern oder verbessern, um den internationalen Anschluss nicht zu verlieren und mehr Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in mehr neue Medizinprodukte, Therapieansätze und somit eine bessere Patientenversorgung zu übersetzen? Welche Forderungen haben Sie an eine neue Regierung?
Es wäre sehr gut, wenn abgestimmte Programme entstehen, die Translationsschritte von der Grundlagenforschung in erste Anwendungen erleichtern. Neben Unterstützung im regulatorischen Bereich sind dies auch praktische infrastrukturelle Hilfen. Man könnte an so etwas wie Translationszentren denken. Wichtig ist jedoch auch, die spätere Translation zu berücksichtigen. Das bedeutet mehr qualitativ hochwertige multizentrische klinische Studien, mehr Beteiligung von Deutschland an internationalen Studien – insbesondere Investigator Initiated Trials (IITs) und Möglichkeiten zu erschaffen, erfolgreiche klinische Studien besser in die klinische Praxis implementieren zu können. Eine Idee könnte hier sein, die Programme des BMBF und der DFG zu klinischen Studien mit dem BMG-Programm im Innovationsfonds Versorgungsforschung zu verbinden. Von daher wäre auch ein Wunsch an eine neue Regierung, dass es wesentlich stärker verschränkte Förderprogramme der einzelnen Ministerien gäbe, die darauf abzielen, nachhaltige Verbesserungen für die Gesundheitsversorgung zu erzielen.
Ist Spitzenforschung im Medizinbereich momentan bzw. in Zukunft überhaupt noch ohne technologische Innovationen/KI möglich?
Auch hier muss eine differenziertere Antwort gegeben werden: Sicherlich ist es so, dass technologische Innovationen/KI in Zukunft alle Bereiche der medizinischen Forschung beeinflussen werden, aber das war bezogen auf technologische Innovationen immer schon so. Mit dem Thema KI bekommt das Thema eine neue Geschwindigkeit und es muss uns gelingen, nur praxisnahe und vielschichtig validierte Systeme in die Praxis zu bringen. Neben der Beachtung regulatorischer Aspekte meine ich dabei auch, dass Spezifika des jeweiligen Gesundheitssystems abgebildet werden müssen.