Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen werden über Monitoring-Systeme engmaschig überwacht. In den daraus resultierenden riesigen Datenmengen steckt mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz ein enormes Potenzial, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen und die individuelle Patientenversorgung in der Intensivmedizin zu optimieren.
Trotz klarer Kriterien für die Diagnosestellung von Akutem Lungenversagen (ARDS), wird die lebensbedrohliche Erkrankung, bei der die Lunge den Körper nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgen kann, zu selten erkannt. Dies betrifft insbesondere frühe Stadien von ARDS, die in der Menge der anfallenden klinischen Datenwerte häufig gar nicht oder verspätet festgestellt werden. So versterben trotz Fortschritten in der Therapie noch immer 40 Prozent aller ARDS-Patientinnen und Patienten. Das SMITH-Konsortium will medizinisches Personal darin unterstützen, die Diagnoserate der Erkrankung zu erhöhen, die Therapie zu verbessern und das Auftreten von lebensbedrohlichen Komplikationen zu reduzieren.
Federführend durch das Universitätsklinikum Aachen wird in Zusammenarbeit mit sieben weiteren Universitätsklinika eine speziell dafür entwickelte Smartphone-App für iOS und Android-basierte Geräte implementiert. Die ASIC-App gewährleistet eine kontinuierliche ARDS-Überwachung von Intensivpatientinnen und -patienten sowie die Darstellung von Behandlungsleitlinien. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte tragen hierfür ein mobiles Endgerät in der Kitteltasche, welches sie im Fall von veränderten Kennwerten über das mögliche Vorliegen eines ARDS alarmiert.
Angesichts der COVID-19 Pandemie macht der Anwendungsfall ASIC deutlich, welche Rolle die Medizininformatik künftig für die Forschung und Verbesserung der Versorgung haben wird. Bereits früh zeigte sich, dass besonders schwer an COVID-19 erkrankte Personen mehrheitlich ein ARDS entwickeln, was die Behandlungsergebnisse massiv beeinflusst. Der Einsatz der ASIC-App kann durch frühzeitige ARDS-Diagnose und Therapie die Versorgung von COVID-19-Patientinnen und Patienten optimieren. Eine Übertragung der im Use Case ASIC angewendeten Verfahren auf Krankheitsbilder wie Sepsis oder Akutes Nierenversagen ist in der Zukunft denkbar.
Darüber hinaus werden die auf Intensivstationen kontinuierlich erfassten Routinedaten langfristig in anonymisierter Form gespeichert und für die Forschung zugänglich gemacht. Unter Anwendung von Methoden der Künstlichen Intelligenz ist die Entwicklung eines virtuellen Patientenmodells vorgesehen. Das Modell soll verschiedene Gesundheitszustände von Intensivpatienten simulieren und Komplikationen wie ARDS vorhersagen. Ziel ist ein selbstlernendes Computersystem für die klinische Forschung und Ausbildung. Parallel dazu wird ein diagnostisches Expertensystem entwickelt, welches basierend auf klinischen Versorgungsdaten das Risiko eines potentiellen ARDS für einzelne Patienten bewertet.
Für die Entwicklung dieser Systeme wird die erste deutsche standortübergreifende, anonyme Forschungsdatenbank in der Intensivmedizin aufgebaut und in den beteiligten Datenintegrationszentren (DIZ) vorgehalten. Die DIZ extrahieren die Patientendaten aus den Primärsystemen der Krankenversorgung, anonymisieren sie und überführen diese in ein interoperables Format. Mittels dieser Daten können künftig neue wissenschaftliche Erkenntnisse generiert und die individuelle Versorgung von Patientinnen und Patienten verbessert werden.
Der Use Case ASIC wird vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2023 im Rahmen des SMITH-Konsortiums vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
„Ich bin überzeugt, dass die Daten im Use Case ASIC ein riesiges Potential haben, um mit den Mitteln der Künstlichen Intelligenz noch besser helfen und mehr Patienten zurück ins Leben holen zu können. Bei jedem Organversagen geht es letztlich darum Zeit zu gewinnen: Je früher wir die Diagnose stellen, umso früher können wir eine leitliniengerechte Therapie einleiten und desto mehr Patientenleben können wir retten.“
Prof. Dr. Gernot Marx, FRCA
Leiter Use Case ASIC
Verbundleiter Digitaler FortschrittsHub DISTANCE
Sprecher des Vorstandes des Innovationszentrums Digitale Medizin (IZDM),
Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care | Universitätsklinikum RWTH Aachen