Jede Behandlung mit Antibiotika kann die Resistenzentwicklung von krankheitserregenden Mikroorganismen befördern. Wichtig ist daher ein zielgerichteter Umgang mit Antibiotika, um eine Über- und Untertherapie zu begrenzen. Gleichzeitig sind Blutstrominfektionen einschließlich Sepsis ein weit verbreitetes Problem in Krankenhäusern, wobei die adäquate Verabreichung von Antibiotika eine besondere Herausforderung darstellt.
Vor allem im Krankenhauskontext kann eine unangemessene Gabe von Antibiotika problematisch werden. Je öfter Patientinnen und Patienten mit einem Antibiotikum in Kontakt kommen, desto wahrscheinlicher ist die Entwicklung von Resistenzen. Das kann zur Folge haben, dass Antibiotikatherapien nicht mehr anschlagen. Zudem steigt damit das Risiko für arzneimittelbedingte Nebenwirkungen.
Ein angemessener Einsatz von Antibiotika hingegen kann bei Blutvergiftungen Leben retten. Blutstrominfektionen durch das Bakterium Staphylococcus Aureus beispielsweise sind häufig mit Komplikationen und einer hohen Sterblichkeit verbunden. Mit einer verantwortungsvollen Antibiotikatherapie kann die Sterblichkeit durch Staphylokokken-Blutstrominfektionen um bis zu 50 Prozent reduziert werden.
Bei einem Nachweis von Staphylokokken in der Blutkultur ist die medizinische Bedeutung des Befunds allerdings häufig fraglich. In 75 Prozent der Fälle handelt sich dabei nicht um eine Infektion, sondern eine nachträgliche Verunreinigung der Blutkultur durch Koagulase-negative Staphylokokken. Diese Bakterien sind im Gegensatz zu den Aureus-Staphylokokken Bestandteil der normalen Hautflora. Dennoch werden bei diesem Staphylokokken-Nachweis im klinischen Alltag oft Antibiotika verabreicht.
Um das medizinische Krankenhauspersonal bei einer zielgerichteten Diagnose und Therapie von Staphylokokken-Blutstrominfektionen zu unterstützen, wurde im klinischen Anwendungsfall HELP des SMITH-Konsortiums die HELP-App entwickelt. Sie dient als Entscheidungsunterstützung für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte und begleitet sie beim verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika.
Im Rahmen von HELP wurde von 2020 bis 2022 an fünf deutschen Universitätskliniken in Aachen, Essen, Halle, Jena und Leipzig eine Studie durchgeführt. Die Federführung lag beim Universitätsklinikum Jena. Das Projekt verlief in zwei Stufen: In der ersten Ausbaustufe stand Klinikerinnen und Klinikern das HELP-Manual als elektronisches Handbuch zur Verfügung. Dieses lieferte Informationen zu Diagnose und Therapie von Blutstrominfektionen mit Staphylokokken und konnte als App auf stationären und mobilen Geräten verwendet werden. In der zweiten Stufe sollte die nachhaltige Entwicklung der HELP-App als Medizinprodukt nach der Europäischen Verordnung für Medizinprodukte erfolgen.
In der ersten Studienphase haben Ärztinnen und Ärzte zunächst das HELP-Manual als Entscheidungsunterstützung verwendet. Wurden an einer der fünf teilnehmenden Universitätskliniken bei einer Patientin oder einem Patienten Staphylokokken in der Blutkultur nachgewiesen, konnten die behandelnden Ärztinnen und Ärzte das HELP-Manual als Progressive Web App oder als Download nutzen. Dieses gab ihnen leitliniengerecht Informationen zu den nächsten diagnostischen und therapeutischen Schritten, um die Patientenversorgung zu verbessern. Indirekt sollten damit auch antibiotikabedingte Multiresistenzen vermieden und die stationäre Beratung durch Infektiologinnen und Infektiologen optimiert werden. Von August 2020 bis Ende Oktober 2022 haben alle fünf Universitätskliniken mit dem HELP-Manual gearbeitet, wobei mehr als 130 Stationen und über 7800 Patientinnen und Patienten in die Studie eingeschlossen waren. Zur Nutzung des HELP-Manuals läuft aktuell an allen teilnehmenden Standorten eine digitale Umfrage. Die Ergebnisse der Umfrage sollen in eine Veröffentlichung der Gesamtergebnisse der HELP-Studie einfließen.
Ein weiteres Ziel im Use Case HELP war es, die Funktionalität der in SMITH etablierten Datenintegrationszentren (DIZ) zu validieren. Dabei wurden Routinedaten aus der Krankenversorgung erschlossen, in ihrer Qualität gesichert und in anonymisierter Form für die Studienauswertung verwendet. An den DIZ wurden diese für die Studie erforderlichen Daten in ein interoperables Format überführt und für die Forschung nutzbar gemacht. Das interoperable Datenformat basiert auf dem Standard HL7 FHIR und dem Kerndatensatz der Medizininformatik-Initiative. Alle fünf Universitätskliniken haben FHIR-Repositorien mit HELP-Daten zur Verfügung gestellt. Vor allem die Extraktion der Daten aus den heterogenen IT-Primärsystemen der Krankenversorgung und deren Bereitstellung in FHIR erwiesen sich als Herausforderung. Die Datenaufbereitungen und -ausleitungen erfolgten sowohl zentral am Uniklinikum Jena als auch dezentral unter Anwendung von Analyseskripten an den DIZen der Standorte.
Die Erfahrungen, die im Rahmen des HELP-Projekts in der Entwicklung von computerbasierten Entscheidungsunterstützungssystemen gesammelt wurden, werden aktuell evaluiert. Hierzu zählen besonders Spezifika in der Entwicklung von Medizinprodukten in einem universitären Umfeld. Diese Erfahrungen flossen in das Folgeprojekt „fit4translation“ ein, welches u. a. regulatorische Rahmenbedingungen der Entwicklung von Software als Medizinprodukt adressiert.
Der Use Case HELP wurde vom 01.01.2018 bis zum 30.06.2023 im Rahmen des SMITH-Konsortiums vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
“Wir wollen die Arbeit der Infektiologen auf Normal- und Intensivstationen durch IT unterstützen, um den Einsatz von Antibiotika für bestimmte Bakterien zu optimieren.”
Prof. Dr. André Scherag
1. Sprecher SMITH-Konsortium
Leiter Use Case HELP
Direktor des Instituts für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwissenschaften (IMSID) | Universitätsklinikum Jena