Jede Behandlung mit Antibiotika kann die Resistenzentwicklung von krankheitserregenden Mikroorganismen befördern. Wichtig ist daher ein zielgerichteter Umgang mit Antibiotika, um eine Über- und Untertherapie zu begrenzen. Blutstrominfektionen einschließlich Sepsis sind ein weit verbreitetes Problem in Krankenhäusern und stellen eine große Herausforderung für Diagnostik und Therapie dar.
Der klinische Use Case HELP widmet sich einer verantwortungsvollen Antibiotikatherapie bei Staphylokokken-Blutstrominfektionen. Koagulase-negative Staphylokokken sind allgegenwärtig – die Bakterien sind Bestandteil der normalen Hautflora und besiedeln vor allem das Reservoir in der Nase. Der Nachweis des Mikroorganismus ist daher in der klinischen Bedeutung des Befundes fraglich. In 75 Prozent der Fälle entspricht der Nachweis in der Blutkultur keiner Blutstrominfektion, sondern einer Kontamination, d. h. einer Verunreinigung. Dennoch werden im Alltag häufig Antibiotika verabreicht. Dieser in den meisten Fällen nicht gerechtfertigte Antibiotikaeinsatz fördert wiederum die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen und geht mit einem erhöhten Risiko für arzneimittelbedingte Nebenwirkungen einher.
Im Gegensatz dazu müssen Blutstrominfektionen durch den aggressiven Erreger Staphylococcus Aureus immer mit einem Antibiotikum behandelt werden. Die Infektionen sind häufig komplikationsträchtig und weisen eine hohe Sterblichkeit von bis zu 25 Prozent auf. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass durch die Einhaltung von Empfehlungen zu Therapie und Diagnostik die Sterblichkeit um bis zu 50 Prozent reduziert werden kann.
Die HELP-App des SMITH-Konsortiums dient Ärztinnen und Ärzten als computerbasierte Entscheidungsunterstützung bei Patientinnen und Patienten mit Nachweis von Staphylokokken in der Blutkultur. Leitliniengerecht gibt die App den behandelnden Ärztinnen und Ärzten Informationen zu den nächsten diagnostischen und therapeutischen Schritten. Neben einer direkten Verbesserung der Patientenversorgung wird damit auch indirekt zur Vermeidung von antibiotikabedingten Multiresistenzen sowie zur Optimierung der stationären Beratung durch Infektiologen beigetragen.
Die HELP-Studie wird an fünf deutschen Universitätsklinika in Aachen, Essen, Halle, Jena und Leipzig durchgeführt. Die Federführung liegt am Universitätsklinikum Jena. In der ersten Ausbaustufe des Projekts steht ein elektronisches Handbuch zur Verfügung (HELP-Manual). Es bietet Informationen zu Diagnose und Therapie von Blutstrominfektionen mit Staphylokokken und kann als App auf stationären und mobilen Geräten genutzt werden. In der zweiten Stufe erfolgt die nachhaltige Entwicklung der HELP-App als Medizinprodukt nach der Europäischen Verordnung für Medizinprodukte.
Mit Hilfe von HELP wird die Funktionalität der in SMITH etablierten Datenintegrationszentren (DIZ) validiert. Dabei werden Routinedaten aus der Krankenversorgung erschlossen, qualitätsgesichert und in anonymisierter Form für die Studienauswertung genutzt. An den DIZ werden diese für die Studie erforderlichen Daten in ein interoperables Datenformat überführt und zur Verwendung in der Forschung bereitgestellt. Das interoperable Datenformat basiert auf dem Standard HL7 FHIR und dem Kerndatensatz der Medizininformatik-Initiative.
“Wir wollen die Arbeit der Infektiologen auf Normal- und Intensivstationen durch IT unterstützen, um den Einsatz von Antibiotika für bestimmte Bakterien zu optimieren.”
Prof. Dr. André Scherag
1. Sprecher SMITH-Konsortium
Leiter Use Case HELP
Direktor des Instituts für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwissenschaften (IMSID) | Universitätsklinikum Jena