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Wie Smartphones und Wearables die Diagnose von Alzheimer und Parkinson unterstützen können | 5 Fragen an… Dr. Lara Marie Reimer, Leiterin der Nachwuchsgruppe NDEMobil

Die deutsche Bevölkerung altert – damit gewinnen Alterskrankheiten wie Alzheimer-Demenz und Parkinson für die Forschung an Bedeutung. Diese neurodegenerativen Erkrankungen (NDE) stellen derzeit eine große medizinische Herausforderung dar, da sie nicht heilbar sind und mit einem hohen Leidensdruck einhergehen. Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Die Nachwuchsgruppe NDEMobil am Universitätsklinikum Bonn setzt hier an und erforscht technische Lösungen, die eine frühe Diagnostik und Verlaufsbeobachtung von NDE ermöglichen. Im Interview erklärt Nachwuchsgruppenleiterin Dr. Lara Marie Reimer, wie genau Smartphones und Wearables bei NDE helfen können.

Die Nachwuchsgruppe NDEMobil beschäftigt sich mit technischen Lösungen zur Diagnostik und Verlaufsbeobachtung von neurodegenerativen Erkrankungen. Was fasziniert Sie an diesem Forschungsfeld am meisten?

NDE sind ein Thema, das uns alle betrifft. Viele kennen jemanden im Familienumfeld, der von Alzheimer oder Parkinson betroffen ist, und wissen, wie groß der Leidensdruck dieser Personen ist. Das große Problem: Aktuell ist keine Heilung möglich. Es gibt lediglich erste Ansätze, die zum Beispiel bei Alzheimer darauf abzielen, dass der Erkrankungsbeginn verzögert oder der Krankheitsverlauf verlangsamt wird. Dementsprechend ist der Druck groß, nach Möglichkeiten zu suchen, diese Krankheiten frühzeitig zu erkennen und Behandlungen zu verbessern. 

Zudem sind NDE sehr vielfältig. Neben den bekannten Symptomen wie der Vergesslichkeit bei Alzheimer oder dem Zittern bei Parkinson treten oft Begleiterkrankungen wie Depressionen auf. Dies erfordert maßgeschneiderte Lösungen, um Symptome zu erkennen und Behandlungen zu bewerten.
Dafür müssen wir den gesamten Alltag der erkrankten Personen beobachten können, um herauszufinden, wo sie beeinträchtigt sind. So sehen wir, wie und wo wir ansetzen können, um die Symptome zu erkennen.

Wie können Wearables bei der Diagnostik und Verlaufsbeobachtung von NDE helfen?

Der große Vorteil von Wearables und Smartphones ist, dass wir diese Geräte täglich mit uns herumtragen. Dadurch können sie sehr viele Daten erfassen, die wahrscheinlich repräsentativ für unseren Alltag sind. Klinische Tests hingegen erfolgen in isolierten Situationen und können durch Faktoren wie Nervosität beeinflusst werden.

Hier sehe ich die große Chance von Smartphones und Wearables: Wir können sie dort einsetzen, wo Menschen ihren Alltag durchleben und so erfahren, was sie tatsächlich beeinträchtigt – ohne den Testeffekt. Wir erfassen durch Smartphones und Wearables den ganzen Tag ohnehin eine große Bandbreite an Daten über uns, zum Beispiel Daten zur Bewegung oder Vitalparameter wie den Herzschlag. Diese Daten ermöglichen es uns, Veränderungen im Verhalten zu erkennen, die auf NDE hinweisen könnten, wie zum Beispiel reduzierte soziale Aktivitäten. Ergänzend dazu nutzen wir kognitive und motorische Tests auf dem Smartphone, um perspektivisch Empfehlungen für eine mögliche ärztliche Abklärung geben zu können. Hier stehen wir aber noch sehr am Anfang.

Wie laufen die Forschungsarbeiten der Gruppe NDEMobil genau ab?

Zunächst prüfen wir regelmäßig, welche Sensorik in den meisten modernen Smartphones vorkommt und welche Daten wir damit erfassen können. Wir bewegen uns hier in einem noch sehr jungen Forschungsgebiet. Aktivitäts- und Vitaldaten aus Smartphones und Wearables wurden bisher kaum für die Erforschung von NDE genutzt. Das bedeutet, wir müssen erst Hypothesen aufstellen: Wo könnte es, basierend auf der Literatur, bei der Erkrankung Veränderungen in den Vitaldaten oder im Bewegungsverhalten geben?

Dann bauen wir einen ersten technischen Prototyp und testen diesen zuerst mit gesunden Probandinnen und Probanden. Aussagekräftig sind die Daten, wenn diese sich bei ähnlichen Personen ähnlich verhalten, Untergruppen gefunden werden können oder sich eine Person bei wiederholten Messungen zu sich selbst ähnlich verhält. Ist dies der Fall, stellen wir mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Neurologie größere Studien auf, bei denen wir die Daten von verschiedenen Patientengruppen in standardisierter Form auswerten können. Bis dahin dauert es aber noch etwas. Bei den meisten Studien befinden wir uns noch in einem Prototypisierungsstadium und gehen langsam in die Tests mit den Patientinnen und Patienten.

Welche ersten Erkenntnisse haben die Forschungsarbeiten Ihrer Gruppe bereits hervorgebracht?

Wir sitzen derzeit an zwei konkreteren Veröffentlichungen, die sich aus den Arbeiten der Nachwuchsgruppe ergeben. Die erste fokussiert sich auf Parkinsonfrüherkennung.
Hier haben wir mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Uniklinikum Bonn, dem Uniklinikum Köln, dem Forschungszentrum Jülich und weiteren Universitäten einen Videoanalysealgorithmus geschrieben, der auf zwei einfachen Motoriktests basiert. Der erste Test ist ein so genannter „Finger-Tapping-Test“. Dabei muss die Probandin oder der Proband mit dem Daumen und Zeigefinger einer Hand zehn Mal schnell aufeinander tippen. In einem zweiten Test muss die Probandin oder der Proband die Faust öffnen und schließen. Diese Tests haben wir bei Patinnen und Patienten, die an einer Schlafkrankheit leiden, einer Frühstufe von Parkinson, durchgeführt. Dabei konnten wir herausfinden, dass selbst in diesem Stadium bereits minimale Motorikveränderungen vorliegen, die wir mit der Videoanalyse erkennen können. Parallel dazu haben wir Ärztinnen und Ärzten diese Videos gezeigt. Die Erkennung durch den Algorithmus war deutlich besser als die durch die Ärztinnen und Ärzte. Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese als isoliert betrachtete Schlaferkrankung gar nicht so isoliert ist, sondern bereits mit Motorikveränderungen einhergeht.

Die zweite Publikation bezieht sich auf unsere digitalen Kognitionstests, die wir basierend auf traditionellen Paper-Pen-Tests entwickelt haben. Diese Tests haben wir mit zusätzlichen Parametern angereichert. Das Ergebnis: Die individuellen Ergebnisse der Motorik-Tests korrelieren mit der Geschwindigkeit, in der die Kognitionstests absolviert wurden. Diese Tests wollen wir in Zukunft mit Facetracking erweitern, um beispielsweise zu sehen, wie die Gesichtsreaktionen aussehen, wenn die Probandin oder der Proband nachdenkt. Das ist noch im Protoypenstadium. Zukünftig möchten wir hierzu eine größere standardisierte Studie durchführen.

Bitte beenden Sie folgenden Satz: Patientinnen und Patienten profitieren von den im SMITH-Konsortium entwickelten technischen Lösungen, weil…

…die Digitalisierung bestehende Prozesse vereinfacht und verbessert. Sie ermöglicht neue Methoden, die zu einer stärkeren Personalisierung der Medizin beitragen.