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Wie Daten aus der klinischen Versorgung für die Praxis nutzbar werden | 5 Fragen an… Dr. Philipp Breitfeld, Leiter der SMITH-Nachwuchsgruppe BENEFIT

Damit medizinische Technologien, aber auch Therapien und Diagnostik weiterentwickelt werden können, ist die Forschung mit Versorgungsdaten aus der Klinik unabdingbar. Allerdings müssen zunächst die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden, sodass die Daten aus der Versorgung für unterschiedliche Nutzungsbereiche verfügbar sind. Diesem Ziel hat sich die Nachwuchsgruppe BENEFIT am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) verschrieben: Sie befasst sich mit der Frage, wie Daten für unterschiedliche Anwendungsszenarien aufbereitet werden müssen, damit sie in hoher Qualität und datenschutzkonform bereitgestellt werden können. Der Fokus liegt dabei auf der klinischen Forschung, aber auch auf der Anwendung durch externe Partner. Im April 2023 hat Dr. Philipp Breitfeld, Facharzt für Anästhesiologie am UKE, die Leitung der Nachwuchsgruppe übernommen. Er hat sowohl Informatik als auch Medizin studiert und kennt sich somit mit den Erfordernissen beider Fachgebiete aus. Sein Antrieb ist, als Arzt an der „medizinisch-informationstechnologischen Grenze“ zu arbeiten, sagt er.

In diesem Jahr endet die Förderung der Nachwuchsgruppe BENEFIT. Welche praktischen Anwendungsszenarien die Gruppe bisher erarbeitet hat und welche Ziele sie bis zum Ende der Förderphase noch erreichen möchte, das verrät uns Dr. Philipp Breitfeld im Interview.

Seit April 2023 leiten Sie die Nachwuchsgruppe BENEFIT am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Wie sind Sie als Anästhesist dazu gekommen, diese Position einzunehmen?

Da ich an der Klinik für Anästhesie zuvor schon in diesem Schnittstellenbereich tätig war und ich mit dem Institut für Medizininformatik bei vielen Projekten mitgearbeitet habe, war ich in einige Forschungsfragestellungen bereits involviert. In der Anästhesie ist ein Großteil der Prozesse digital, da hier häufig schnelle Entscheidungen auf Grundlage einer guten Datenbasis erforderlich sind. Diese Informationen müssen an einem Ort zentral verfügbar sein, damit wir in Notfallsituationen schnell handeln können. Der Datenpool der dadurch entsteht, bietet sehr viele Möglichkeiten für Forschungsfragen und Anwendungen. Allerdings kommt im Moment niemand wirklich an diese Daten heran. Durch meine Doppelqualifikation sowohl in der Informatik als auch in der Medizin kenne ich zudem die medizinischen Prozesse. Deshalb war es für mich leichter, mich in diese Thematik einzuarbeiten und zu sehen, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, administrative Prozesse oder Externe immer wieder an Daten benötigen.

Die Nachwuchsgruppe hat im September 2021 ihre Arbeiten aufgenommen. Eines der Ziele von BENEFIT ist es, Anwendungsszenarien für die Nutzung von medizinischen Daten durch externe Partner zu identifizieren. Welche Anwendungsszenarien konnte BENEFIT bisher erschließen?

Wir arbeiten derzeit intensiv an zwei Themengebieten. Zum einen gibt es immer wieder Fragestellungen zu Leistungsdaten im Krankenhaussystem, um darzustellen, wie gut eine Abteilung funktioniert. Das Problem dabei ist, dass Daten über verschiedene Quellsysteme schwierig zusammenzuführen sind. Diesen Prozess möchten wir automatisieren. Wir versuchen Daten aus verschiedenen Quellen in einem System zu überführen, um in der Kombination Schlüsse zu ziehen, zum Beispiel über die Leistungsdaten der Abteilungen. Von Interesse ist auch, wie es der Patientin oder dem Patienten nach der Behandlung geht. Um dies zu erfassen, werden weitere Daten aus dem klinischen Informationssystem benötigt, beispielsweise Abrechnungsdaten aus dem Controlling oder gar externe Informationen von Kostenträgern. Bisher konnten diese Daten nur getrennt betrachtet werden. Nun führen wir sie zusammen um z. B. ein Entscheidungsdashboard für die klinische Steuerung zu entwickeln.
Ein zweiter Anwendungsfall beschäftigt sich damit, wie Patientendaten, die live mit Monitoringsystemen aufgenommen werden, ausgeleitet, aufbereitet und verfügbar gemacht werden können. Weitere Projekte sind derzeit in der Evaluation. Sie thematisieren die Zusammenarbeit mit kleinen und mittelständischen Unternehmen, wobei vor allem die rechtlichen Schritte abgeklopft werden müssen. Hier suchen wir Wege, Patientendaten ausreichend zu anonymisieren, um sie nach außen geben zu dürfen. Dafür wurde am UKE durch das Institut für Medizininformatik das so genannte „Datenhotel“ entwickelt. Dabei handelt es sich um eine Anwendung, mit dessen Hilfe psyeudonymisierte Patientendaten in einem geschützten Raum für Forschungszwecke bereitgestellt werden können. Hier ist es unsere Aufgabe, die für die Wissenschaft relevanten Daten in Quellsystemen zu identifizieren, zu kuratieren und für die Bereitstellung zu integrieren.

Wie wirken sich die aktuellen Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz auf die Anwendung von Medizindaten aus?

Künstliche Intelligenz ist gerade im Bereich der Anwendung für die Entwicklung von prädiktiven Algorithmen oder Entscheidungsunterstützungssystemen ein sehr wichtiges Thema. Wir beschäftigen uns allerdings nicht mit der klinischen Anwendung dieser Daten und KI-Algorithmen, sondern mit der Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Daten, um diese Algorithmen dann trainieren zu können.
Aber auch in der Datenbereitstellung arbeiten wir mit Algorithmen. Dabei geht es vor allem um die automatische Annotation von Daten, um sie in einen Kontext zu bringen, sie klinisch zu erklären und mit Domänenwissen aus der Klinik zu verknüpfen. Derzeit entwickeln wir Konzepte, mit denen Daten von der klinischen Seite aus annotiert werden können. Wenn die Daten später für ein Medizinprodukt genutzt werden, müssen diese qualitätsgesichert sein. Hierfür bewerten verschiedene Ärztinnen und Ärzte die Daten aus den Systemen und versuchen sie auf Standards und Terminologien zu mappen, um eine möglichst hohe Datenqualität zu erreichen. Dieser Prozess wird von Künstlicher Intelligenz unterstützt.

Was möchten Sie gemeinsam mit den Nachwuchsforschenden bis zum Ende der Förderphase* im Jahr 2024 erreichen? 

Zum einen möchte ich alle unsere Use Cases in den Prototypenstatus bringen. Damit können wir zeigen, wie wichtig es ist, Daten zunächst verfügbar zu machen um andere Projekte daran anzuknüpfen. Aktuell wird natürlich viel mit KI geforscht. Dabei stoßen die Forschungsgruppen immer wieder auf das gleiche Problem: Sie haben gar nicht genug Real-World-Daten, um Modelle zu trainieren und sie dann wirklich nutzen zu können. Wir versuchen entscheidend die Weichen für eine Plattform zu stellen, auf der Forschende verlässlich an Daten herankommen. Derzeit sind wir in dieser Hinsicht auf einem guten Weg. Im Datenhotel Use Case sind die Daten weitgehend erschlossen und werden zeitnah in unser Datenintegrationszentrum überführt. Es ist auch bereits festgelegt, wie wir annotieren. Nun geht es daran, diese Annotation im verbleibenden Zeitraum durchzuführen.

Die Nachwuchsgruppe BENEFIT schöpft die ungenutzten Potenziale von Patientendaten für die medizinische Forschung aus, indem…

wir lauffähige Prototypen entwickeln, die direkt in den klinischen Alltag überfließen können. Damit machen wir die Forschung für klinische Anwendungen und weitere Forschungsideen erst möglich.

*Nachtrag vom 15.02.2024: Dies bezieht sich auf die erste Förderphase 2021 – 2024. Im Februar 2024 wurde eine Weiterförderung bis 2026 genehmigt.